Im Kunstforum Wien
Freitag, den 28. Oktober 2016 lud die Kuratorin Lisa Ortner-Kreil zu einem Archivgespräch und einer Führung durch die von ihr kuratierte Ausstellung Martin Kippenberger ein. Die Schau war wegen ihrer Fokussierung auf das von Kippenberger bevorzugte Medium Sprache für das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk ViennAvant besonders interessant. Jeweils 4 Mitglieder aus dem Bereichen Kunst und aus Literatur sowie zwei aus Film- und Theaterwissenschaft nahmen teil.
Im 21er-Haus
Ende Jänner bis Ende Mai 2016 präsentierte das 21er Haus. Museum für zeitgenössische Kunst in der Gruppenausstellung Abstract – Loop Austria Werke von vier österreichischen Künstlern: Marc Adrian, Richard Kriesche, Helga Philipp und Gerwald Rockenschaub.
Ausstellungsansichten “Abstract Loop Austria” Fotos: © Belvedere, Wien, Foto eSeL.at.
Am 13. Mai versammelte sich eine Gruppe des ViennAvant-Netzwerks im 21er-Haus zu einem Archivgespräch und Führungen mit Harald Krejci durch diese Ausstellung und die Rekonstruktion der Kinetika 1967.
Grundlegend für die konstruktive, konkrete Kunst der Nachkriegszeit in Österreich waren die radikalen Ideen des Aufbruchs in die Moderne (Wiener Kreis, Zwölftonmusik), eine Abkehr von den figurativen Tendenzen des österreichischen Expressionismus und die generelle Idee eines Neuanfangs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Entwicklung der konstruktiven, konkreten Kunst in Österreich vollzog sich u. a. im internationalen Kontext der Künstlerbewegung Neue Tendenzen in Zagreb, die zwischen 1961 und 1973 wegweisende Zusammenkünfte und Ausstellungen organisierte, an denen Adrian, Kriesche und Philipp teilnahmen. Im Jahr 1967 fand dann auf Initiative von Werner Hofmann die wegweisende internationale Ausstellung Kinetika im heutigen 21er Haus statt.
Eröffnung der Ausstellung: „Abstract „Loop Austria“ Foto: eSeL.at, © Belvedere, Wien
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen mit Adrian, Kriesche und Philipp die Anfänge der konstruktiven, konkreten Kunst bzw. der Op-Art in Österreich. Inhaltlich rücken die Frage nach einer (neuen) Rolle des Betrachters und seiner Wahrnehmung sowie die Untersuchung der Beschaffenheiten der Oberflächen und Strukturen von Kunstwerken in den Mittelpunkt. Unter postmodernen Vorzeichen in der Neo-Geo-Bewegung der 1980er-Jahre in Wien wurden diese Fragen wieder aufgegriffen. Dabei zeigt sich, wie das gemeinsame Interesse an neuen gestalterischen Elementen und Ideen wie Bewegung, Zeit, Strukturen und Wahrnehmungs- bzw. Rezeptionsbedingungen zu ganz unterschiedlichen künstlerischen Strategien geführt hat – bis heute.
Nach diesen beiden Führungen wurde noch die umfangreiche Werkschau Oswald Oberhuber besichtigt.
Oswald Oberhuber entwickelte bereits als knapp Zwanzigjähriger er eine höchst eigenständige künstlerische Auseinandersetzung mit französischer Nachkriegskunst, insbesondere mit dem Tachismus und dem Informel, in den Medien Zeichnung, Malerei und Skulptur. Diese gegenstandslose Kunst, auch als lyrische Abstraktion bezeichnet, strebt die vollkommene Auflösung der Form in einem spontanen, unbewussten Schaffensprozess an.
Oberhuber ist nicht nur einer der ersten informellen Künstler in Österreich, mit der Übersetzung dieser Prinzipien von der Malerei in sein Konzept der informellen Plastik leistet er auch im internationalen Kontext einen singulären Beitrag. Diese Arbeiten sind meist in Gips, Draht und anderen fragilen Materialien als dreidimensionale Raumzeichnung ausgeführt. Sie setzen sich radikal von der damals kanonischen Formensprache der Moderne im Allgemeinen und von postkubistischer Skulptur im Besonderen ab. Mitte der 1950er-Jahre, am Höhepunkt des Informel, beendet Oberhuber diese Phase, beginnt realistisch zu arbeiten und macht den ersten einer Vielzahl von künstlerischen Sprüngen, die fortan sein Werk bestimmen.
Diesem Muster des überraschenden Neuanfangs folgt Oberhuber mit großer Konsequenz. In Anlehnung an Leo Trotzkis Begriff der permanenten Revolution postuliert er 1956 das Prinzip der permanenten Veränderung in der Kunst. Sich stets einer Festlegung und Kategorisierung entziehend, frei von Berührungsängsten, setzt sich Oberhuber mit verschiedensten künstlerischen Strömungen auseinander, entdeckt und erfindet, experimentiert und assimiliert, um das jeweilige Potenzial auszuschöpfen bis zum nächsten Neuen. Sein antiheroischer Zugang zur Kunst zeigt sich in der ständigen Hinterfragung der eigenen Mittel, der Rahmenbedingungen künstlerischer Bedeutungsproduktion und des Werk- und Autorbegriffs, die immer wieder ins Wanken geraten.
Im mumok
Am 12. Mai 2016 führte Eva Badura-Triska durch die von ihr kuratierte Ausstellung Körper, Psyche und Tabu. Wiener Aktionismus und die frühe Wiener Moderne. Mit Körper, Psyche und Tabu als zentralen, titelgebenden Begriffen verdeutlicht die Präsentation ideengeschichtliche, inhaltliche und gestalterische Zusammenhänge zwischen dem Wiener Aktionismus und den künstlerischen Entwicklungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Werken von Günter Brus, Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler, den Skandalkünstlern der 1960er-Jahre, werden Arbeiten ihrer ebenfalls umstrittenen Kollegen vom Jahrhundertanfang – von Gustav Klimt über Richard Gerstl und Oskar Kokoschka bis zu Koloman Moser, Max Oppenheimer und Egon Schiele – gegenübergestellt.
Ausstellungsansicht Körper, Psyche und Tabu. Foto: mumok/Laurent Ziegler
Eingangs erzählt Eva Badura-Triska, dass diese Ausstellung durch das ViennAvant-Archivgespräch im mumok im Juni 2015 „Mein Körper ist das Ereignis.“ beeinflusst und bereichert worden ist. Sie kam damals ins Gespräch mit Bernadette Reinhold vom Oskar Kokoschka-Dokumentationszentrums der Angewandten, die beiden Forscherinnen trafen sich zu einem weiteren intensiven Brainstorming und daraus entstanden wichtige Aspekte der jetzigen Ausstellung sowie ein Beitrag von Bernadette Reinhold zum Ausstellungskatalog.
Eva Badura-Triska schildert ihre These des Vergleichs der historischen Situation in Österreich um 1910 mit 1960: wirtschaftlicher Aufschwung bei gleichzeitiger konservativer Verfasstheit der Gesellschaft, was Triebfeder für Künstler war, sich intensiv mit dem Körper zu beschäftigen.
Neben zahlreichen motivisch-stilistischen Verwandtschaften verweist die mumok-Ausstellung vor allem auf inhaltliche Parallelen. Sowohl zu Jahrhundertbeginn als auch in den 1960er-Jahren wird der menschliche Körper als Spiegel und Widerpart existenzieller und gesellschaftlicher Erfahrungen thematisiert. Das psychologische Porträt, aber auch der exponierte Körper und dessen Erfahrungen von Schmerz durchziehen die Werke beider Generationen.
Egon Schiele, Selbstbildnis mit gesenktem Kopf, 1912 Öl auf Holz Leopold Museum – Privatstiftung Foto Leopold Museum
Rudolf Schwarzkogler, 3. Aktion, 1965, S/W-Fotografie auf Karton © Österreichische Ludwig-Stiftung, Foto: mumok
Oskar Kokoschka, Der Sturm, 1911 Farblithografie © Bildrecht Wien, 2016 Foto: Albertina.
Das Porträt, das zu einer Analyse der Porträtierten mutiert, das inszenierte Künstlerselbstporträt sowie der Künstler in seiner Nacktheit sind Stationen, die zur „Bearbeitung“ des eigenen Körpers führen – zur Selbstverletzung einerseits, zur sakralen Überhöhung andererseits. Das Thema der Verletzung und des Heilens ist sehr stark. Die Gesellschaft ist krank, sie muss geheilt werden, durch die Figur des Künstlers, der auch in der Gesellschaft den Finger auf die Wunde legt und dafür Schmach erfährt.
Günter Brus,Wiener Spaziergang, 1965, S/W-Fotografie Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, © Günter Brus, 2016
Egon Schiele Plakat der Schiele-Ausstellung in der Galerie Arnot, 1915 Gouache, Tuschpinsel auf Papier Foto Wien Museum
Selbstdarstellungen als Märtyrer_innen sind in diesem Zusammenhang keine Seltenheit und verweisen auf Konzepte vom Künstler als Priester und Erlöser der Gesellschaft.
Hermann Nitsch, 1. Aktion, 1964, SW-Fotografie Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Schenkung des Künstlers © Bildrecht Wien, 2016, Foto: mumok
Auch für die Materialaktionen Otto Muehls sieht Eva Badura Vorläufer ein halbes Jahrhundert früher beispielsweise in der Behandlung der Farbe als Material in Kokoschkas berühmtem Stilleben mit Hammel und Hyazinthe:
Oskar Kokoschka, Stillleben mit Hammel und Hyazinthe, 1910,
Öl auf Leinwand Österreichische Galerie Belvedere, Ankauf Oskar Reichel, 1922 © Bildrecht Wien, 2016, Foto: Österreichische Galerie Belvedere
Otto Muehl, Materialaktion Nr. 9, Stilleben – Aktion mit einem weiblichen, einem männlichen und einem Rinderkopf, 1964, SW-Fotografien Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, erworben 2003,
Die Bezüge sind vielfältig und frappant:
Auseinandersetzung mit Schwangerschaft und Geburt finden sich in beiden Epochen. Nackte Schwangere bei Klimt, die Aktion von Brus in embryonaler Haltung als Untersuchung des eigenen Körpers im Mutterleib. Wie der 20-jährige Schiele in seinen Babystudien geht Brus dem Thema Kind in Aktionen mit seiner Tochter Diana nach.
Im Drama „Mörder Hoffnung der Frauen“, diesem ersten expressiven Theater, eigentlich der „ersten Aktion“, hat Kokoschka die Körper seiner Schauspieler weiß bemalt – wie später Brus. Das Thema dieses Geschlechterkampfes ist Transfusion. Transfusion 1965 auch bei Brus mit weißem Mann und roter Frau. Das hat christologische aber auch Zombie-Aspekte. Um Tod und Wiederauferstehung geht es immer wieder bei Klimt, bei Kokoschka, bei Brus, bei Nitsch, der Kreuzigung dem „Uropfer“ gleichsetzt.
“Sprache als Medium” stellt die späten Bilddichtungen von Brus Oskar Kokoschkas “Träumenden Knaben” und Schieles in Rechteckformat gestalteten Gedichten gegenüber. Beengende Grenzen wurden geöffnet und Wege zu einem interdisziplinären Kunstverständnis geebnet. Dieses bezieht nicht nur fotografische (und später filmische), theatrale, literarische und musikalische Kunstformen mit ein und verknüpft diese oftmals miteinander: Mit der Psychoanalyse und sprachkritischen Ansätzen werden auch die Potenziale avancierter Wissenschaften in die künstlerische Arbeit einbezogen.
Im Belvedere
Fotocredits:
Ausstellungsansichten “Hans Bischoffshausen – Mehr als ZERO” © Belvedere, Wien
Gruppenfotos © Helga Köcher
Am 12. Februar 2016 besuchte eine Gruppe aus ViennAvant die von Harald Krejci kuratierte Ausstellung „Mehr als ZERO. Hans BISCHOFFSHAUSEN“ im Unteren Belvedere.
Die Ausstellung war den bildnerischen Hauptwerken des Multitalents Bischoffshausen gewidmet und zeigte die künstlerischen Wechselbeziehungen zu Malerkollegen der Nachkriegsavantgarde aus Frankreich, Deutschland, Italien und Holland auf.
Bischoffshausens reduziertes, die Grenzen der Malerei auslotendes, materialbezogenes Schaffen hatte er im Zusammenhang mit seinen Reisen nach Italien und Frankreich bereits sehr früh entwickelt. Ausstellungsbesuche in Galerien von Venedig und Mailand legten den Grundstein zu einer Kunst, die immer weiter die Grenzen der Malerei ertastete. War sein Schaffen anfänglich noch von einer gestischen, abstrakten Malerei geprägt, fand er mit Materialien wie Sand, Zement, Lochungen oder Brandspuren zu einer neuen Formensprache, die sich mit den Zusammenhängen von Schrift und Bild beschäftigte.
Die Freundschaft mit dem italienischen Avantgardekünstler Lucio Fontana, der durch seine Schnittbilder weltberühmt wurde, öffnete Bischoffshausens Werkbegriff, an dem er nach seinem Umzug nach Paris 1959 konsequent weiterarbeitete. Bischoffshausen fand rasch Eingang in die französische Künstlerszene. Der bildende Künstler und ZERO-Vertreter Bernard Aubertin wurde zu einem wichtigen Wegbegleiter.
Zwischen 1962 und 1965 nahm Bischoffshausens Karriere einen intensiven Verlauf, Ausstellungen in Frankreich und Deutschland sowie Beteiligungen in Italien waren die Folge. Kontakte zur internationalen Künstlergruppierung NUL um Jan Schoonhoven ermöglichten ihm, auch in Holland künstlerisch zu reüssieren. Ebenso sind seine Freundschaften mit Herman de Vries oder Heinz Mack Thema der Ausstellung.
Bischoffshausen gehört heute neben seinem Künstlerfreund Erwin Thorn zu den wenigen österreichischen Vertretern der ZERO-Bewegung. Seine individuelle Ikonologie des Materials und seine konzeptuelle Neuorientierung in der Kunst vor und nach 1968 machten ihn zu einem der wesentlichen Vertreter der Avantgarde.
Die Ausstellung versuchte, den Bogen von den ersten Materialbildern der 1950er-Jahre bis zur Pariser Zeit der ZERO-Bewegung zu spannen. Erstmals wurden auch die 1970er- und 1980er-Jahre beleuchtet.
Die Aufarbeitung des umfassenden Archivs von Ernst und Heide Hildebrand war wesentliche Basis der Begleitpublikation und damit Teil der fortlaufenden Forschung zur Kunst der Nachkriegszeit, die erneut einen in Europa zu Unrecht wenig bekannten österreichischen Künstler ins Zentrum gestellt hat.