Archivgespräche 2010

Im Österreichischen Literaturarchiv

Das zweite ViennAvant-Archivgespräch am 30. April 2010 war der Literatur gewidmet. Direktor Bernhard Fetz begrüßte im Österreichischen Literaturarchiv in der Hofburg eine multidisziplinäre Gruppe aus ViennAvant – neun Forscherinnen und Forscher aus Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft, Architekturgeschichte, Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Nach programmatischen Worten zu der Arbeit des Archivs und aktuellen Schwerpunkten gab er einen Überblick über das Programm des Nachmittags.

Vier Projekte dokumentarischer Natur wurden von Mitarbeitern des Literaturarchivs präsentiert:

Teresa Profanter: Verzeichnis der künstlerischen, wissenschaftlichen und kulturpolitischen Nachlässe in Österreich.

Das Riesenprojekt Verzeichnis der künstlerischen, wissenschaftlichen und kulturpolitischen Nachlässe in Österreich wurde von der Österreichischen Nationalbibliothek in Verbindung mit der Wienbibliothek im Rathaus in Kooperation mit über 200 Museen und Archiven – dem Österreichischen Theatermuseum Wien, dem Adalbert-Stifter-Institut Linz, der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv Innsbruck, dem Robert-Musil-Institut Klagenfurt, dem Thomas-Bernhard-Archiv Gmunden unter Mitarbeit des Archivs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universitätsbibliothek Wien u.v.m. im Auftrag des BMUKK in dreijähriger Arbeit erstellt. Es umfasst mehr als 6000 Einträge von Vor- und Nachlässen. Dieses elektronische Verzeichnis umfasst nicht nur Bestände aus Literatur, es beinhaltet auch Bildende Kunst, Musik, Naturwissenschaft, Politik und bietet eine Perspektive für eine Nachlassdatenbank aller deutschsprachigen Länder. Private Sammlungen sind noch nicht eingearbeitet, es sind nur Institutionen erfasst.

Es kann nach Schlagworten und Zeiträumen gesucht werden, nach Provenienz, nach Orten, die Zuordnung eines Bestands zu Sachgebieten ist möglich. Unter „Katalog Standard“ öffnet sich ein Fenster zur Website des jeweiligen Instituts und bietet Basisinfos zu Personen, Kurzbiografien der Bestandsbringer u.a.

Die Datenbank wird laufend gepflegt. Die eingebundenen Institutionen haben die Verpflichtung zu vierteljährlicher Aktualisierung.

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Volker Kaukoreit, Österreichische Literaturzeitschriften von 1945 – 1990.

Dieses im deutschsprachigen Raum einzigartige Online-Verzeichnis Österreichische Literaturzeitschriften 1945–1990. Materialien, Analysen, Hintergründe umfasst 330 Zeitschriften, davon 22 zu Avantgarden, z.B. Alpha, Der Bogen, Eröffnungen, Freibord, Gegenwart, Herbstschrift.

Die benutzerfreundliche Website bietet Rechercheeinstiege über eine Schnellsuche an und Register nach alphabetischer, chronologischer und regionaler Struktur. Zu jeder Zeitschrift finden sich umfangreiche Informationen zu den beteiligten Personen, Erscheinungsort, Preis, Inhaltsverzeichnis, Kernzitate, programmatische Äußerungen und Gestaltungsbeispiele, in einigen Fällen auch ein ausführlicher Essay. Eine substantielle Einleitung führt chronologisch durch die Zeit.

Hannes Schweiger: Die Ernst Jandl-Show, Wien Museum, 4.11.2010 – 13.2.2011

Hannes Schweiger präsentierte einen Ausblick auf die Ernst Jandl Show, die im Herbst im Wien Museum zum 85. Geburtstag und 10. Todestag Jandls eröffnet wird.

Das Österreichische Literaturarchiv birgt einen riesigen Ernst Jandl-Nachlass , der Basis dieses Projekts des LBI Biografieforschung in Kooperation mit der Österreichischen Nationalbibliothek und dem Wien Museum ist und von einem Katalog und einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm begleitet wird.

Ernst Jandl wird darin in seiner Vielfalt präsent werden: Als Lautpoet, als genialer Auftrittskünstler, als grenzüberschreitender Avantgardist zwischen Poesie, Performance, Musik und bildender Kunst. Er schrieb Gedichte in Alltagssprache, experimentelle Prosa, Hörspiele, Theaterstücke, Film-Drehbücher und sogar ein Ballett. Er übersetzte Texte von Avantgarde-Künstlern wie Gertrude Stein und John Cage. Legendär ist sein Auftritt bei dem Beatnik-Treffen in der Royal Albert Hall. Im Juni 1965 kamen dort die literarischen Köpfe der Beat-Generation, unter ihnen Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti und Adrian Mitchell, zusammen. Begeistert nahm das Publikum Ernst Jandl auf, der “Hustenscherzo” von Kurt Schwitters vortrug und sein eigenes Gedicht “schtzngrmmm”. Peter Whitehead dokumentierte die Veranstaltung in seinem Film Wholly Communion im Stil des “Direct Cinema”. Jandl knüpfte bei diesem Aufenthalt Kontakte mit Ian Hamilton Finlay und anderen, die ihm später sehr genützt haben, wie er in einem Brief an Raoul Hausmann v. 5.7.1965 schreibt. Netzwerke zwischen deutschsprachigen und englischen Avantgarden entstanden daraus. Aber auch als Vermittler der tschechischen Avantgarden engagierte sich Jandl.

Zur Biografie Ernst Jandl

Die Ernst Jandl Show wird Jandls Werk in seiner Vielstimmigkeit, Internationalität und Intermedialität inszenieren mit Ton- und Filmaufnahmen, Fotos und Lebensdokumenten sowie vielen unveröffentlichten Texten und ihn damit als Künstler an den Schnittstellen von Text, Ton und Bild sichtbar machen, dessen innovative Kraft bis in die Alltagskultur hinein fortwirkt.

Klaus Kastberger: Avantgarde und Oswald Wiener

Abschließend gab Klaus Kastberger eine spannende Zusammenschau der Bestände, die das Österreichische Literaturarchiv von Proponenten der Wiener Nachkriegsavantgarden und vor allem der Wiener Gruppe hat, und entfaltete ein Szenario der verschiedenen Ansätze ihrer „Rahmung“ und ihrer Rezeption. So enthält seine Publikation Schluss mit dem Abendland. Der lange Atem der österreichischen Avantgarde, die er zusammen mit Thomas Eder als Band 5 der „Profile“, dem Magazin des österreichischen Literaturarchivs, herausgegeben hat, eine Umfrage unter Avantgardeliebhabern und Avantgardeverächtern. Der Schriftsteller Thomas Glavinic hält darin beispielsweise polemisch fest: „ Die Avantgarde hat uns den Ruf im Ausland versaut“ und auch „die nachfolgenden Generationen verhunzt“. Fazit: Polemik war immer schon eine beliebte Reaktion auf Avantgarden. Aber es gibt den Mut zu Neuem – und es gibt die Forschung.

Mehr zur Wiener Gruppe

Das Archiv

Kastberger beschäftigt sich seit langem mit dem Profil der Wiener Gruppe und forscht an ihren Archivbeständen, die nicht nur erratisches Material sind, sondern Knoten im Netzwerk vielfältiger Aufbrüche. Hier arbeitet er an einem differenzierten Bild dieser für die Kulturlandschaft Österreichs entscheidenden Phase .

Das Österreichische Literaturarchiv besitzt den gesamten Vorlassbestand von Oswald Wiener mit einer umfangreichen Korrespondenz. Wiener hat einen Teil seines Werks vernichtet. Gesichert werden konnte ein sehr zerrissenes Manuskript der „verbesserung von mitteleuropa“. Auch Material zur Rezeption der Uni-Aktion und der „verbesserung von mitteleuropa“ ist vorhanden, ebenso wie Notizbücher von ihm aus den 70er-Jahren, „Notebooks“ a la Wittgenstein, als er Wirt in Berlin war. Eine Seance bei Hundertwasser ist dokumentiert und Notizen zu Wieners Idee einer Druckmaschine, um Gedanken zu drucken.

Das Archiv beherbergt zudem audiovisuelles und Tonmaterial, so etwa einen Film von O. Wiener Film, der Konrad Bayer im Dannebergpark zeigt, oder Filme aus der Zeit, als Wiener ein Reisebüro betrieb. Alles Geld wurde in acht Jeeps investiert für Reisen nach Island. Es ging um Naturabenteuer im Freien. Mitgefahren sind immer nur Freunde.

Ein anderer Bereich sind Zeichnungen; Günter Brus und Oswald Wiener haben immer wieder gemeinsam gezeichnet. Aus der Präsentation dieser Beispielblätter entwickelte sich ein intensives Gespräch über methodische und forschungsstrategische Fragen.

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Aus der Diskussion: Welche Forschung?

Ein wesentlicher Punkt waren Überlegungen, welche Forschung wie mit diesem Material arbeite. Archivmaterial diene oft als Illustration. Das habe aber mit Forschung nichts zu tun. Die Wiener Gruppe dürfe nicht bloß als Konglomerat von „guten Gschichtn“ gesehen werden. Mit ihr und dem hohen theoretischen Anspruch ihrer Texte wurde in Österreich der Begriff Avantgarde neu definiert.

Aber sie war jedenfalls keine homogene Gruppe. Der Gegensatz etwa zwischen Wiener und Rühm hätte größer nicht sein können. Auch das Verhältnis zwischen Achleitner und Jandl war ein gespanntes. Es gab kritische Äußerungen Jandls über Achleitner, der eher einen Randstatus in der Wiener Gruppe hatte und von Wiener nicht ernst genommen wurde.

Noch weiter am Rand stand Marc Adrian und konnte sich trotz seiner innovativen Kraft nie in die Wiener Gruppe integrieren. Warum ist er untergegangen – im Gegensatz zu Rühm? Die Möglichkeit, solchen Fragen nachzugehen, würde ein differenzierteres Bild der damaligen Gesamtsituation bringen. Und es werde noch einmal komplizierter, wenn man zum Aktionismus gehe.

In der Debatte zu Verhältnis und Wechselwirkung zwischen Wiener Gruppe und Wiener Aktionismus merkte Johanna Schwanberg an, es gäbe Interpretationsmonopole, die weniger bekannte Positionen überlagerten. Klaus Kastberger betonte die Frage der Definitionsmacht. Das Archiv könne nicht die Wertigkeiten definieren. Die kulturelle Legitimation sei wichtig. Verwertungskämpfe würden sich abspielen – um das Material selbst, aber auch um den Alleinvertretungsanspruch. Den gäbe es in allen Avantgardebewegungen, weil keiner nur für sich sprechen will, sondern den Anspruch hat, die Bewegung zu vertreten. Erst wenn die Protagonisten 90 würden, würden Neubewertungen möglich und Mythen aufgelöst.

Johanna Schwanberg sprach die Rolle der Fotografen in der Aktionskunst an. Thomas Eder stimmte zu: Die Perspektiven der Akteure und derer, die die Dokumentationen gestalten, seien unterschiedlich. Und die Haltung dessen, der das Material erstellt, beeinflusse das Ergebnis. Klaus Kastberger erzählte von einem Film aus dem Oswald Wiener-Vorlass über eine Brus-Aktion. Wiener habe nicht die Aktion selbst aufgenommen, sondern das Umfeld: die Zuschauer, auch deren Langeweile, und das verärgerte und widerstrebende Modell, das Brus zu besänftigen versuchte.

Die VertreterInnen des Netzwerks ViennAvant waren sich mit Bernhard Fetz und Klaus Kastberger einig: Forschungsansätze brauchen einen Rahmen. Bei den Avantgarden liege Potential für Innovationsforschung. Weiterführende Forschung müsse ermöglicht werden. Es brauche viel Zeit und Detailwissen, um die Strategien der Protagonisten wie die Auswirkungen von Kontext und Umfeld transparent zu machen.

Im Architekturzentrum

Di., 23. März 2010 fand im Architekturzentrum Wien anläßlich der Ausstellung x projekte der arbeitsgruppe 4. Holzbauer, Kurrent, Spalt 1950–1970 das erste Archivgespräch von viennAvant statt.

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Zunächst führten die Kuratorinnen Sonja Pisarik und Ute Waditschatka die 19 Forscherinnen und Forscher durch die Ausstellung.

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 Daran schloß sich eine Archivführung und Besichtigung exemplarischer Beispiele aus der Sammlung.

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Der Nachmittag mündete in einem informellen Gespräch “Architektur in Österreich nach 1945: Akteure, Themen, Kontexte”, das durch die interdisziplinäre Zusammensetzung der Runde sehr spannend war. Eines der besprochenen Themen war „Worauf bezieht man sich im Wiederaufbau?“

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In der Diskussion geäußerte Meinungen:

Die Kirche trat als Auftraggeberin auf – z.B. für Robert Kramreiter, einen Schüler von Dominikus Böhm, der Kirchen noch als Gesamtkunstwerk sah.

Eine große Rolle spielte die Kulturpolitik der Besatzungsmächte: Die Le Corbusier-Ausstellung von Franzosen in Innsbruck, in Wien in den späten 40er-Jahren die Ausstellung „Amerikanisches Wohnen“, der erste Wachsmann-Vortrag 1953 im Amerikahaus, 1955 die Ausstellung Mies van der Rohe in der Secession. Kurrent und Holzbauer betonen, wie wichtig die Bibliotheken der Besatzungsmächte waren.

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Die Leute waren auch viel unterwegs. Das Bundesministerium für Unterricht bezahlte Romstipendien und Reisen in die Schweiz zur Mondrian-Ausstellung. Friedrich Achleitner und andere reisten nach Skandinavien. Allgemein waren die 50er-Jahre geprägt von einer Schweden-Begeisterung. Anton Schweighofer, – er verbrachte 1956–59 in Schweden und bezeichnete Schweden als „die USA Europas“ – , nahm mit seinen reduzierten Bauformen, etwa in der „Stadt des Kindes“, Einflüsse aus Skandinavien auf. Kurt Schlauss, Erbauer des Pfeilheims, des Gartenbaukinos und der Wiga – WIG 1964 Donaupark, war Mitglied der Aalto-Gesellschaft. Erich Boltenstern (Wiederaufbau Wiener Staatsoper, Erbauer von Ringturm und Kahlenbergrestaurant), hat in den 30er-Jahren im Büro Sven Markelius, des bedeutendsten Vertreters der schwedischen Moderne gearbeitet und auch Oswald Haerdtl hat sich dessen Bauten angesehen. Diese skandinavische Schiene sollte modernes Leben vermitteln. Die nächste Generation, die Arbeitsgruppe 4, hat sich davon distanziert.

Schnittstellen zwischen verschiedenen Disziplinen wurden besprochen und interdisziplinäre Verbindungen zwischen Architektur und Literatur: Architekten haben sich Vorträge zur Sprachwissenschaften angehört. Kubelka hat bei Kurrent gewohnt. Umgekehrt gab es Vorträge von Architekten in der von Fritz Wotruba geleiteten Galerie Würthle. Johannes Spalt hat sich immer wieder mit Thomas Bernhard getroffen. Der Begriff „seriell“ wird von der zeitgenössischen Musik übernommen, „Serielles Bauen“ wird 1958 zum ersten Mal in einem Briefverkehr erwähnt. Auch der Begriff der „Konstellation“ steht in Verbindung zur experimentellen Dichtung.

  achleitnerfetzWeitere Themen waren die Wiederentdeckung Josef Franks, der nach Schweden emigriert war, nach 1945 jedoch nicht mehr nach Österreich zurückkam und die Figur Josef Hoffmann. Dieser war präsent im Strohkoffer. Er wurde als lebende Geschichte empfunden. Sein Mitmachen in der Nazizeit wurde ihm vorgehalten. Hoffmann hat mit den Studenten nie gesprochen. Er hat nur mit Haerdtl gesprochen. Achleitner hat erzählt, dass Hoffmann mit Zylinder und Frack gekommen ist, ganz unnahbar. Der aus dem Geist des Ständestaats kommende Clemens Holzmeister dagegen – in den 50er-Jahren als Rektor der Akademie für Bildende Künste eine dominierende Figur – war politisch unglaublich vernetzt. Seltsam, dass die Jungen den Holzmeister akzeptiert haben und den Hoffmann nicht. Max Weiler allerdings empfand ihn erdrückend.

Ausführlich wurde über Roland Rainer diskutiert, seine belastete Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus, seine Publikationen und Bauten, seine Rolle in der Stadtplanung sowie sein Verhältnis zur Arbeitsgruppe 4 und die unterschiedlichen Vorstellung beider bezüglich einer Stadterweiterung.

Roland Rainer war Mitglied des Österreichischen Kunstsenats, von 1980 – 1999 auch sein Präsident. Seither bekleidet Hans Hollein diese Funktion. Es entspann sich eine Diskussion über die Einrichtung des Österreichischen Kunstsenats. Dieser definiert sich selbst als „eine Gemeinschaft von einundzwanzig hervorragenden schöpferischen Künstlerpersönlichkeiten. Seine Aufgabe besteht darin, die Anliegen der Kunst in der Öffentlichkeit zu vertreten, die öffentlichen Stellen in wichtigen Fragen der Kunst zu beraten und Maßnahmen zur Kunstförderung und zur Bewahrung der kulturellen Substanz anzuraten. In seine Kompetenz fällt das Vorschlagsrecht für den Großen Österreichischen Staatspreis und das Vorschlagsrecht für die Berufung der Staatspreisträger in den Kunstsenat.“
Im Gespräch war zu erfahren, dass dieses Gremium – ein Relikt des Austrofaschismus – kein Archiv im eigentlich Sinn habe und seine Akten sind nicht zugänglich seien. Die 21 Mitglieder aus den Bereichen Architektur, Bildende Kunst, Literatur und Musik müssen Träger des Großen Österreichischen Staatspreises sein und gehören dem Kunstsenat dann lebenslang an. Nur 4 der 21 Mitglieder sind Frauen http://www.kunstsenat.at/kunstsenat.htm. Auch bei Paaren wird der Preis nur dem Mann zuerkannt – z.B. bei den Windprechtingers, die immer zusammen gearbeitet haben.

Der Vorentwurf zum Wien Museum stammte von Roland Rainer, mit dem revolutionärem Konzept von Harry Glück, ein Konzept, mit dem sich das Museum abgeschafft hätte. Die These war: Man braucht kein großes Museum. Jedes Jahr wird sich ein immer aussagekräftigeres Objekt finden. Das Museum wird also winzig klein.

In der Ausführung hat Haerdtl versucht, sich auf aktuelle Museumsprojekte zu beziehen, z.B. das Stedelijk Museum, das damals in Glas und Stahl gebaut wurde. Der Bau am Karlsplatz war ein Konflikt beladener Prozess für Haerdtl, wie ein Briefwechsel dokumentiert. Franz Schuster spielt eine wichtige Rolle, er hat Oswald Haerdtl vom Nicht-Gewinnplatz zu bauenden Architekten gemacht. Franz Schuster war sehr mächtig. Er konnte sich mit riesigen Aufträgen versorgen (z.B Per-Albin-Hansson-Siedlung). Die ganze Wiederaufbaugeschichte hat er dominiert und die alten Nazis alle aufgenommen. Schuster ist auch für das Scheitern der Arbeitsgruppe 4 am Gemeindebau verantwortlich. In den frühen 30er-Jahren war er in Frankfurt, war Chefredakteur des AUFBAU. Die Frage wird gestellt, ob schon jemand versucht hat, „diese schmutzige Arbeit zu mache, da in die Archive hineinzugehen“. Der Nachlass von Schuster liegt unaufgearbeitet in der Angewandten.

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Die Angewandte hat einen reichen Schatz an Nachlässen, berichtete Bernadette Reichhold vom Oskar Kokoschka-Forschungszentrum. So auch den von Hans Sedlmayr („Verlust der Mitte“) der sich 1948 in einem Vortrag mit dem Karlsplatz befasste: „Auf dem Karlsplatz darf es kein anderes Problem geben“ (als die Karlskirche…) Kurz fokussierte sich das Gespräch auf Oskar Kokoschka, der nach dem Krieg in Wien nicht gelandet ist, denn da war Herbert Boeckl, und auf Kokoschkas Galeristen und Freund Friedrich Welz, eine höchst zwiespältige Figur – einerseits Kunsthändler des Naziregimes, der Arisierungen betrieb, andererseits nach dem Krieg Promotor der Avantgarde.

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Nicht nur Informationen und Wissen wurden ausgetauscht, sondern auch methodische Fragen diskutiert.

Bernhard Fetz riß die Frage nach den ästhetischen Konzepten an: „Die Dinge sind oft differenzierter als sie aufs Erste scheinen. Doderer z.B. ist oberflächlich betrachtet ein Vertreter des Monumentalromans. Wenn man aber genauer hinschaut, ist Doderer ein Avantgardist. Wie weit gehen die Schnittstellen? Das sieht man vielleicht nur von außen: So ist es z.B. Eduard Sekler, der die große Hoffmannbiografie schreibt….“

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Ästhetische Konzepte sind nie nur schwarz oder weiß. Spalt hat z.B. sehr stark den NS-Architekten Paul Schmitthenner („Das deutsche Wohnhaus“) rezipiert. Wie geht er damit um? Alle haben Stifters „Nachsommer“ gelesen. Auch Thomas Bernhard hat Stifter gelesen. Wie geht man mit den Parallelwelten um? Wer hat sich dafür eingesetzt, dass Lois Welzenbacher eine Professur bekommen hat? Am Fall Welzenbacher zeigt sich eine typische Ambivalenz: Einerseits kriegt er eine Professur, andererseits lässt man ihn nichts bauen. Wie Plischke… „Es sei ganz spannend ist zu verfolgen, wer vorgeschlagen wird, wer dann wieder rausgefallen ist und mit welchen Argumenten“, bestätigte Bernadette Reinhold.

Bernhard Steger stellte fest: „Oft wird der rote Faden erst rückwirkend erzeugt. Ottokar Uhl hat die HTL in Zell/See besucht. Und er war Welzenbacher-Schüler.“ Bernhard Fetz stimmte zu: „Die Gefahr ist, dass wir einfach rückprojizieren. Interessant sind die Anknüpfungspunkte, unabhängig von der politischen Einstellung. Spalt hat schon vor der Formierung der Arbeitsgruppe 4 selbständig gebaut. Wie geht man mit dem veränderten Wertgefühl um?“

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Andreas Nierhaus/Wien Museum zitierte Wolfgang Ernst: „Das Archiv sind die Lücken.“ „Otto Wagner hat kurz vor seinem Tod 1912 seine Fachbibliothek versteigern lassen. Warum legt er sie weg?“

Bernadette Reinhold: Das eine ist das Quellenstudium. Die Nachlässe wurden und werden jedoch sehr spät aufgearbeitet. Jetzt gibt es eine andere Generation von Forscherinnen und Forschern, die freier arbeiten kann, ohne Seilschaften.

Bernhard Fetz: „Es wäre auch spannend, die Manifeste zu vergleichen, die so prägnant sind, kurz, widersprüchlich, im Widerspruch zur Praxis, oft Ersatz für diese. Irgendwann verlässt der Holzbauer die Arbeitsgruppe 4, weil er bauen will. Irgendwann steigt Oswald Wiener aus der Wiener Gruppe aus, weil er einen großen Roman schreiben will. Es gibt nur dieses Anekdotische. Geht etwas tiefer? Geht etwas hinein ins Begriffliche?“

Monika Platzer schloss sich an: Wie kommt man vom Anekdotischen weg? Achleitner hat bis jetzt eigentlich die Geschichtsschreibung geprägt. Man muss in die Quellenforschung gehen. Noch leben Zeitzeugen.

Andreas Nierhaus artikulierte die beiden Kernfragen aus diesem Gespräch: „Wie kommt man vom Anekdotischen in die Forschung? Und wie kann man diese Forschungsnetzwerke fixieren über das Mündliche hinaus?“

Überlegungen zur weiteren interdisziplinären Forschungstätigkeit und zu einer möglichen Kontinuität der geknüpften Kontakte wurden besprochen. Monika Platzer resumierte: Niemand hat Zeit, Konzepte zu entwerfen. Jeder arbeitet von uns im Haus. Es wäre wichtig zu wissen, was der andere tut, wichtig, sich immer wieder zusammen zusetzen und anzudenken, was jeder für die nächsten Jahre plant. Den Schwarm informell halten, Publikationen sammeln.

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