Tausche Haus gegen Text oder Aktion: Avantgardismen in der Wiener Architektur 1955–75
Texte, Collagen/Montagen und Aktionen – und nicht architektonische Entwürfe – waren die bevorzugten Formate der Architektur als Avantgarde. Deutlicher als in den harten Kernen der Wiener Avantgarde in Theorie, Literatur, Film und Aktionismus und ihren transmedialen Kopplungen und Überschreitungen waren dabei in der Architektur die Einflüsse der „Szene“: Rock/Pop, Sub- und Gegenkulturen als Ausdruck eines Lebensgefühls, neuer Bilder und Aneignungen von Räumen. Diametral zur Politisierung des Stadtplanungsdiskurses und einer Kritik der Institutionen wurde aber auch die Modernisierung der Moderne in Richtung neuer Technologien, Materialien und Medien sowie der Faszination für die Paradigmen von System, Struktur, Kybernetik oder Prozess vorangetrieben. Durchgängig herrschte eine Aufbruchsstimmung, in der (fast) alles möglich schien. Wien war offensichtlich der richtige Boden dafür, aus diesen heterogenen Motiven im architektonischen Feld eine Unzahl von Hybriden zu produzieren, für deren weitere Elaboration und kritische Reflexion allerdings die Voraussetzungen fehlten. Die „Passion des Realen“ (Alain Badiou) war stärker als das Programm. So endete die architektonische Avantgarde schneller als sie begonnen hatte in der Postmoderne. Wenn heute die beiden Topoi „Avantgarde“ und „Überschreitung“ nicht in Unverbindlichkeit aufgelöst werden sollen, bleiben für die „Wiener Architektur-Avantgarde“ zwischen 1955–75 eine ganze Reihe von Fragen offen, die anhand von ausgewählten Manifestationen beleuchtet werden.
Rudolf Kohoutek, Studium der Architektur an der Technischen Hochschule Wien, Geographie an der Universität Wien. 1963–1969 Arbeit in Architekturbüros bei Max Bill, Ottokar Uhl, Hans Hollein u.a.; 1970–71 Chefredakteur der Architekturzeitschrift „Bau“; seit 1972 Freiberufliche Forschungsarbeiten und Beratertätigkeit: Wohnungsmarkt, Wohnqualität, Wohnkultur, Alltagsleben; Stadtentwicklung, Instrumente der Planung, Stadterneuerung, Stadtgestaltung; Kultur, Knowledge Base; temporäre Nutzungen, Architektur, Raumbild. 1980–94 Ausbildung und Praxis in Biodynamischer Psychologie und Körpertherapie (Gerda Boyesen Institut London). Aktuelle Schwerpunkte: Theorieansätze, Nachkriegsmoderne und Avantgarde; Bild und Beschreibung von Stadt 2008/2009.