Von den Formen zu den Inhalten. Oswald Wieners Weg von der „verbesserung von mitteleuropa“ zu Introspektion, Vorstellungsbildern und Denkpsychologie – Paradigma oder Sonderfall der Nachkriegsavantgarden?
Den beiden relevanten österreichischen Nachkriegsavantgarden (Wiener Gruppe und Wiener Aktionismus) sind zwei gegensätzliche Pole hinsichtlich der Relevanz von Kunst und Literatur gemeinsam, die sie je unterschiedlich gewichten: Steigerung des sinnlichen Erlebens versus Verstehen der Mechanismen, die ästhetisches Erleben ermöglichen. Diese beiden unterschiedlichen Einschätzungen dessen, was Kunst und Literatur ausmacht, sind exemplarisch im Werk und der künstlerischen bzw. intellektuellen Biographie von zwei zentralen Proponenten der Wiener Gruppe und des Wiener Aktionismus angelegt: mit Oswald Wieners und Günter Brus’ Produktionsästhetik und ihren jeweiligen Entwicklungen in bzw. aus der Kunst sollen diese beiden Pole der Wiener Nachkriegsavantgarden dargestellt werden.
Dabei werde ich Brus’ mit dem Irrwisch (1971) einsetzende Entwicklung in Richtung der literarischen Gestaltung und der Bild-Dichtung ebenso skizzieren wie Oswald Wieners Weg aus der Literatur und Kunst weg in Richtung Automatentheorie und Denk-Psychologie. Einige Spekulationen im Hinblick auf die paradigmatische Rolle dieses Wiener’schen Weges für die Avantgarden nach 1945 beschließen meinen Beitrag.
Thomas Eder, Dr., Literaturwissenschaftler, Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik der Universität Wien, Leiter der Sparte Literatur im Kunsthaus Mürzzuschlag.
Forschungsschwerpunkte: österreichische Literatur des 20. Jahrhunderts, Literaturtheorie und Sprachphilosophie, literarische Moderne und Dichtung der Avantgarde; Verhältnis von Epistemologie, Dichtung und Naturwissenschaft. Neuere Publikationen (Auswahl): “Unterschiedenes ist / gut.’ Reinhard Priessnitz und die Repoetisierung der Avantgarde”. München 2003; Die Metapher in Philosophie, Wissenschaft und Literatur in: Zur Metapher (Hg. gem. m. Franz Josef Czernin 2007); Heimrad Bäcker. Modern Austrian Literature 41, H. 4, (2008); „‘verschiedene sätze treten auf’. Die Wiener Gruppe in Aktion”. (Hg. m. Juliane Vogel 2008); “Erfundene Erinnerung. Literatur als Medium der Gedaechtnisbildung und -reflexion”. Linz 2009; Reinhard Priessnitz: Briefe an Els. (Hg. gem. m. Hans Haider 2009).