Das utopische Potential des Bauens. Konrad Wachsmann und die österreichische Nachkriegsavantgarde
Die sich langsam kanonisierende Geschichtsschreibung nennt das Jahr 1958 als den Beginn der österreichischen Nachkriegsavantgarde in der Architektur. In der Tat gibt es Gründe für diese Wahl: So nennt Hans Hollein die Kunstgesprächen der Galerie St. Stephan in der Seckau als den Beginn eines allgemeinen Diskurses über Architektur in Österreich; dort wurde z.B. des „Verschimmelungsmanifest“ von Friedensreich Hundertwasser erstmals vorgetragen. Ebendort trugen Markus Prachensky und Arnulf Rainer ihr Manifest „Architektur mit den Händen“ vor und Günther Feuerstein reiht sich mit seinen „Thesen zu einer inzidenten Architektur“ ebenfalls ein in diesen Reigen der Manifeste ein. Doch neben diesen utopisch poetischen Ansätzen, die ihre Kritik am gebauten Funktionalismus künstlerisch formulierte, manifestierte sich bei den Salzburger Sommerakademien von 1956 bis 1960 in den Architekturkursen mit Konrad Wachsmann eine andere Strategie, nämlich eine des utopisch wissenschaftlichen Handelns in Form einer Industrialisierung des Bauens. Allerdings – uns das ist ein wesentlicher Unterschied – die Utopie wurde nicht als solche empfunden sondern als mögliches Ziel in einer sich technologisch entwickelnden Welt. Der 1941 in die USA emigrierte deutsche Architekt vermittelte ein Werkverständnis architektonischer Art, das diametral dem gängigen, überwiegend auf den Hochschulen gelehrten Architektur- und Architektenbild gegenüberstand. Gerade weil er das architektonische Werk als “Bauwerk” negierte, gab er dem Bauen eine neue Bedeutung. Dem Entstehen einer Bauaufgabe legte er ein dialogisches Prinzip zugrunde, das die am Planungsprozess Beteiligten schrittweise einer erkannten optimalen Lösung zuführte. Nicht das fest gefügte Werk war das Ziel, sondern das Erkennen der möglichen Wege, die einen Entwurf als flexibles Ziel hervorbringen. “Entwurf sollte als “Werfen” verstanden werden, als iterative Versuche der Annäherung mit mehr oder weniger Zielgenauigkeit, aber umso intensiverer Bemühung um Selbstkontrolle und Selbstkritik.
Wachsmann vermied es, von Architektur und Baukunst zu sprechen, sondern sprach lieber vom Bauen. Dieses könne wissenschaftlich betrachtet und verbessert werden und hatte zur Folge, dass eine Verbesserung der gebauten Umwelt nicht in besserer Architektur, sondern in der Verbesserung der Vorgänge um das Bauen liegt: “Dies [ist] ein Hinweis…, dass die Ursachen für jenes Missbehagen über die Aussage, welche die gebaute Umwelt so oft verursacht, vielleicht nicht in ihrer Erscheinung als unmittelbarer Auswirkung zu suchen sind und dass sich darum im wesentlichen nichts ändern kann, wenn man statt schlechter gute Architektur macht” (Wachsmann1960:353). Durch die Rückführung der Fragen des Bauens auf eine rationale Ebene, entwickelte sich für Wachsmann eine neue Architektur, die mit herkömmlichen Methoden der Analyse und Kritik nicht mehr beschrieben werden.
Bernhard Steger, DI Dr., Studium der Architektur an der TU-Wien und ETSAB Barcelona. 2003–2004 Aufarbeitung Archiv Ottokar Uhl für das Architekturzentrum Wien und Dissertationsstudium TU-Wien; 2005 Kurator der Ausstellung „Ottokar Uhl. Nach allen Regeln der Architektur“. 2001–2006 selbstständige Tätigkeit im Rahmen von eisvogel. Raum für Architektur; projektbezogene Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in Wien und Vorarlberg. 2006 Gründung von mohr steger architektur. Seit 2007 Assistent am Institut für Architektur und Entwerfen, Abteilung Raumgestaltung der TU-Wien. Publikationen: “Vom Bauen. Zu Leben und Werk von Ottokar Uhl”,
in: AzW (Hg.), “Ottokar Uhl” Salzburg 2005; „Vom Bauen. Zu Leben und Werk von Ottokar Uhl“ Wien 2007. Publizistische Tätigkeit für Fachmedien und Radio („Die schönen Architekten“ auf Radio Orange 94.00)